Calle Corson Interview

Der schwedische Meister des japanischen Tätowierstils greift einen neuen Meilenstein in seiner Karriere an. Er verkauft sein Stockholmer Studio King Carlos Tattoo, um wieder als freier Tattoo-Künstler die Welt unsicher zu machen. Unterstützt wird er dabei von einem neuen starken Sponsor, dem deutschen Hersteller von Tattoo-Equipment Cheyenne. Von Cliff Burton

Warum beginnst Du nicht damit, dass Du uns etwas über Deinen Hintergrund erzählst? 
Ich wurde 1976 geboren und bin zurzeit 42 Jahre alt. Ich stamme aus einem Frauenhaushalt. Ich bin in Stockholm mit einer alleinerziehenden Mutter und einer Schwester aufgewachsen – meine Mutter ist auch Künstlerin. Ehrlich gesagt: Künstlerisch hat sie sehr viel mehr drauf als ich. Meine künstlerische Laufbahn habe ich als Teenager mit Graffiti begonnen. Es ist ziemlich normal heute für Tätowierer, diesen Hintergrund zu haben. Ein Grund dafür ist vielleicht das gemeinsame Gefühl von Graffiti- und Tattoo-Artists, Teil einer Subkultur zu sein. Meine Liebe zum Tätowieren hat sich erst nach und nach entwickelt. Ein Freund von mir, ein anderer Graffiti-Künstler, fing mit dem Tätowieren an. Ich hing in seinem Studio herum und so wurde er mit der Zeit mein Lehrmeister. Viele Tätowierer entscheiden sich bereits im Alter von fünf Jahren, was sie einmal werden wollen. Für mich wurde dieses Thema erst in meinen späten Teenagerjahren aktuell.
 
Wann bist Du Profi geworden und in welchen Studios hast Du gearbeitet?
Ich begann 1996 meine Ausbildung mit Patrik bei Circle Tattoo und blieb dort bis 2001. Meine Frau Synnöve und ich sind viel herumgereist. Nach einer langen Reise haben wir gemeinsam beschlossen, dass ich jetzt versuchen sollte, etwas für mich selbst zu machen. Also habe ich King Carlos Tattoo im Sankt Eriksplan in Stockholm im Jahr 2002 eröffnet und geleitet. Wir hatten einige schöne Jahre. Aber jetzt haben wir beschlossen, das Studio zu verkaufen. Mein Freund Leigh und ich werden erst mal dort weiterarbeiten, bis der richtige Käufer auf der Bildfläche erscheint. Dann werde ich das Tempo meiner Karriere ändern, wieder mehr reisen und verstärkt Conventions und Gastauftritte bei Messen und Festivals machen. Vielleicht ist das der Grund, warum die Leute von Cheyenne sich dafür entschieden haben, mein Sponsor zu werden. Ich werde viel mehr in der Öffentlichkeit auftreten, nachdem ich die letzten sechzehn Jahre in meinem Keller in Sankt Eriksplan verbracht habe.
 
Wir werden uns gleich weiter über Cheyenne unterhalten. Aber zuerst: Was hat Deinen heutigen Stil geprägt?
Ich begann mit dem Tätowieren, als die Tribal-Ära auf dem Höhepunkt war. Die Red Hot Chili Peppers und Armbänder im Tribal-Stil, der Film „From Dusk till dawn“ mit Gorge Clooneys Tribal, das seinen ganzen Arm bedeckte und sich bis zu seinem Hals erstreckte. Also habe ich Unmengen an Tribals und ähnlichen Tattoos gemacht. Damals gab es kein Internet. Das war nicht wie heute. Deine einzige Inspirationsquelle waren Tattoo-Magazine. Ich weiß, dass ich schon sehr früh vom asiatischen Stil fasziniert war. Ich meine immer noch, dass dieser Stil einfach genial mit den einzelnen Körperteilen umgeht. Trotzdem finde ich es ein bisschen komisch, dass ich als Schwede andere Schweden im japanischen Stiel tätowiere. Drehen wir das Ganze doch einmal um. Wenn wir nach Japan gehen und sehen, dass ein Japaner einen anderen Japaner mit Wikinger-Motiven tätowiert: Da würden wir auch lachen und fragen: „Warum machst Du das?“ Aber ich kann mir nicht helfen. Ich liebe diesen Stil einfach. In den vergangenen paar Jahren habe ich deshalb versucht, die japanische Tradition von Grund auf richtig zu verstehen. Ich habe wirklich meine Hausaufgaben gemacht, sozusagen.
 
Finden die Japaner, dass Du gut bist?
Ich habe wirklich nicht danach gefragt und niemand hat etwas gesagt. Aber ich war gerade in Berlin und habe das bei einem Treffen mit ein paar Japanern zum Thema gemacht. Dabei habe ich meinen üblichen Wikinger-Vergleich ins Spiel gebracht. Sie lachten und sagten: „Ja, da hast Du recht.“ Aber beide mochten meine Arbeit wirklich. Also weiß ich nicht genau, was ich von dem Kommentar halten soll. Ich habe ein paar japanische Follower auf Instagram, also scheinen die meine Arbeit auch zu mögen.
 
Du wirst jetzt von dem deutschen Tattoo-Equipment-Hersteller Cheyenne gesponsert. Ich habe gehört, dass ihre Geräte nur für realistische Tattoos funktionieren. Aber Du scheinst damit ja japanische Tattoos problemlos zu schaffen.
Hahaha! Ich habe vor sechs oder sieben Jahren damit angefangen, Rotary-Maschinen zu verwenden. Der Hauptgrund: Damit muss ich mich einfach viel weniger um die Wartung kümmern. Ich fand es immer so verdammt abschreckend, an Maschinen herumzubasteln. Deshalb habe ich nie wirklich gelernt, eine Coil-Maschine richtig gut zu bedienen. Zuerst dachte ich, dass Rotarys großartig fürs Colouring funktionieren, aber vielleicht nicht so gut fürs Shading. Dann aber erinnerte ich mich an eine Reise nach Indonesien. Dort habe ich einen Typen beobachtet, der Tätowierungen mit einer umgebauten Aquariumpumpe, einem Elektrorasierer oder was auch immer machte – und das mit einer einzigen Nadel! Und er machte Schattierungen, die waren alles andere als nicht perfekt. Das gab mir das Gefühl, dass es nicht so sehr um die Ausrüstung geht. Es geht eher darum, die Arbeit mit der Ausrüstung zu lernen, die man hat. Was ich bei Cheyenne so toll finde, ist das System mit den Cartridges. Du kannst unterschiedliche Cartridges anbringen und nur eine einzige Maschine benutzen. Vor vier Jahren habe ich angefangen, damit zu arbeiten. Am vergangenen Neujahr ergab sich die Chance, von Cheyenne gesponsert zu werden. Ich besuchte ihre Fabrik und war total beeindruckt. Ich sah, wie sie jede Nadel wegwarfen, die auch nur den geringsten Fehler hatte – Nadeln im Wert von 500.000 Euro im Jahr, die nicht an Einzelhändler verkauft werden, weil sie einfach nicht gut genug sind. Ich bin stolz darauf, dass sie mich sponsern wollen, und ganz offensichtlich kann man ihre Geräte für japanische Tattoos verwenden. Ich tue es! Und Shige auch.
 
Ja, Shige, der japanische Tattoo-Titan, mit dem Du in diesem August auf der Berlin Tattoo Convention zusammen gewesen bist. Wie war das?
Es war fantastisch. Ich kenne ihn jetzt seit vier oder fünf Jahren und was kann ich über ihn sagen? Er ist der Beste, also fühlte ich mich wirklich geehrt.
 
Welche Geräte von Cheyenne verwendest Du normalerweise?
Seit vier Jahren benutze ich den HAWK PEN – für Linien, Schattierungen, einfach alles. Ich verwende nur Cheyenne Disposable Grips, 1-Inch. Es fühlt sich ziemlich gut an, nur mit Einweg-Sachen zu arbeiten. Es gibt nichts zu sterilisieren, also werde ich meinen Autoklav verkaufen. Für die Konturen habe ich gerade angefangen, das Cartridge-System mit dem Round Shader zu verwenden.Ich denke, das schafft einen besseren Fluss und macht die Linien gleichmäßiger. Für das Colouring verwende ich meistens die 15 Magnum, gelegentlich auch die 13, und die 23 für Linien und Schattierungen. Es ist ein wirklich starkes Gerät und läuft total gleichmäßig. Der Hauptunterschied zwischen einer Coil- und einer Rotary-Maschine besteht darin, dass Du mit der Rotary mehr mit Deiner eigenen Hand fühlen musst. Der HAWK PEN geht immer so tief wie möglich, was ziemlich hart ist. Also muss ich den Prozess beschleunigen und die Haut nur ganz leicht berühren, damit ich gleichmäßige Schattierungen und Ähnliches machen kann. Und es fühlt sich verdammt gut an, diesen nervigen Lärm loszuwerden. Ich kann Musik auflegen, ich kann mich mit den Kunden unterhalten – die Rotary-Maschine entkrampft alles und schafft ein schönes Arbeitsumfeld.
 
Welche Favoriten hast Du bei Deiner eigenen Arbeit?
Ich bin nie 100% zufrieden. Aber ich denke, das ist wichtig. Mit dieser Einstellung strebst Du immer danach, besser zu werden. Ich selbst bin mein größter Kritiker. Meine Frau kommt manchmal rein, wenn ich zeichne, und sagt dann: „Das ist einfach toll, benutze es!“ Und ich antworte immer: „Nein, es ist nicht gut genug.“ Und dann wiederhole ich das Ganze noch zehn Mal.
 
Hast Du viele Auszeichnungen erhalten?
Ich habe am Beginn meiner Karriere bei vielen Wettbewerben mitgemacht. Ich denke, das ist wichtig. Dank den Competitions kommen Leute zu Dir, bevor Du Dir einen Namen gemacht hast. Aber ich denke auch, dass es in der Musik und in der Kunst schwer ist zu konkurrieren. Schließlich liegt Schönheit immer im Auge des Betrachters. Deshalb schätze ich an Instagram, dass ich dort jede Menge Tätowierer finde. Sie sind wahnsinnig gut, ohne berühmt zu sein. Auf Instagram bekommen sie Anerkennung und werden bekannt, ohne unnötigen Wettbewerb. Ich habe etwas gegen die ganzen Wettkämpfe, um ehrlich zu sein. Jeder hat die Freiheit der Wahl. Aber ich würde niemals einen Kunden bitten, mit meiner Arbeit an einem Wettbewerb teilzunehmen. Ich verstehe, dass eine Convention ihren Zuschauern etwas bieten muss. Es reicht einfach nicht, dass alle nur herumlaufen und zusehen, wie Leute tätowiert werden. Aber ich finde den Wettbewerb von Tattoo-Künstlern immer noch ein bisschen merkwürdig. Und er kann sogar gefährlich sein. Angenommen, ich habe Dir einen Sleeve gestochen, mit dem Du sehr zufrieden bist. Dann nimmst Du mit dem Tattoo an einem Wettbewerb teil und bekommst vielleicht nicht einmal den dritten Preis. Wenn Du mental nicht sehr stark bist, fängst Du jetzt an nachzudenken und zu grübeln und meinst zum Schluss sogar: „Vielleicht ist mein Tattoo doch nicht so gut.“
 
Was bedeuten die Tattoos an Deinem eigenen Körper für Dich?
Ich habe ein Familientattoo mit allen unseren Namen. Dann macht es natürlich Spaß, Tattoos von Leuten zu haben, die Du magst. Aber für mich geht es bei den Tattoos mehr um Kunst. Ich finde es wichtiger, dass sie schön sind, als dass sie irgendetwas bedeuten. Wenn ich in den Spiegel blicke, ist das wie ein kleines Geschichtsbuch über mich. Zum Beispiel das Bild hier auf meinem linken Arm. Ich schaue es an und erinnere mich daran, wie ich mit einem Freund Filip Leu in der Schweiz besucht habe. Aber auf irgendeine besondere Art bedeutungsvoll – nein, das ist wirklich nicht, wie ich Tattoos verstehe.
 
Was machst Du, wenn Du nicht arbeitest?
In dem Jahr, in dem ich 40 wurde, wurde mir klar, wie wichtig es ist, sich um den Körper zu kümmern. Deshalb trainiere ich heutzutage viel. Das Tätowieren hat mir ernsthafte Rückenprobleme eingebracht. Vielleicht muss ich in ein-zwei Jahren operiert werden. Ich fordere deshalb alle Tätowierer auf, sich wirklich um sich selbst zu kümmern, bevor die Probleme anfangen. Neben dem Training und den Tattoos habe ich nicht viel Zeit für irgendetwas anderes. Ich habe drei Kinder und mein Leben besteht im Prinzip aus meiner Familie und meiner Arbeit.
 
Irgendwelche anderen Pläne für die Zukunft?
Mein Traum wird im Moment gerade zur Wirklichkeit. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Karriere. Ich hatte ein schönes Studio mit einigen lieben Menschen. Aber ich habe vielleicht eine kleine Midlife-Crisis durchlebt und dabei festgestellt, dass ich Angst vor Dingen hatte, die ich wirklich machen will. Jetzt werde ich wieder viel auf Reisen gehen. Mein Ziel ist, viele Tattoo Conventions zu besuchen und dabei Tätowierer zu treffen, zu denen ich aufschaue. Ich will weiter lernen und besser werden. Und ich muss sagen: Als ich angefangen habe, war ich einer der jüngsten Tätowierer des Landes. Jetzt bin ich das wirklich nicht mehr und ich möchte mich nicht in einen mürrischen alten Mann verwandeln. So ein alter Knacker, der immer sagt: Früher war alles besser. Ich versuche immer, Neues anzunehmen und damit zu lernen. Ich habe mir gerade ein iPad gekauft – damit kann ich noch nicht so gut umgehen, um ehrlich zu sein. Aber ich bin wirklich sehr zufrieden, dass ich nicht mehr an Maschinen herumbasteln muss. Das ist absolut wunderbar.